Vor fast einem Jahr ist die Türkei nach einem Erlass des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan von der Istanbul Konvention ausgetreten. Die Konvention des Europarates zur Prävention und Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, ist der erste bindende Vertrag um geschlechterbasierte Gewalt zu bekämpfen.1 Der Grund des Rücktritts, der weit zirkuliert wurde: Die Konvention würde die traditionellen Werte der türkischen Gesellschaft gefährden. Die Realität sieht anders aus. Ohne die Istanbul Konvention gibt es keinen rechtlichen Rahmen, um Frauen effektiv gegen geschlechterbasierte Gewalt zu beschützen. Darüber hinaus hat die Corona Pandemie zu einer Zunahme an häuslicher Gewalt geführt. In der Türkei wurden 2021, 417 Morde an Frauen verzeichnet.2
Während täglich neue Fälle von geschlechterbasierter Gewalt an die Öffentlichkeit kommen, sorgt die wirtschaftliche Situation der Türkei für Schlagzeilen. Schon vor der Pandemie sah sich die wirtschaftliche Lage Herausforderungen gegenüber, alles Dank falschen wirtschaftlichen Gesetzen und Maßnahmen. Das Problem hat sich seit letztem Jahr dramatisch verschlimmert, die Inflationsrate ist himmelhoch und die türkische Lira verliert immer mehr an Wert. Täglich steigen die Preise für Lebensmittel, was eine Verarmung der Bevölkerung zur Folge hat. Der Preisanstieg hat sanitäre Produkte hart getroffen, was immer mehr zur period poverty (Periodenarmut) führt.3 Bilder von Menschen in Brotschlangen gehören zur neuen Realität der Türkei. Die Verschlechterung der Wirtschaft hat das Land noch tiefer gespalten. Die einen halten zu ihrem Präsidenten und machen ausländische Kräfte für die Situation verantwortlich, während die anderen die Verantwortung bei einer Person sehen und zwar dem Präsidenten. Die Äußerungen und Handlungen der Regierung führen abermals zu der Frage, wo geht die Türkei hin.
Das berühmte Zitat “das Persönliche ist politisch” von Carol Harnish4 passt sehr gut in den Kontext der aktuellen Entwicklungen des Landes. Während Gewalt gegen Frauen ihren Hochstand erreicht, manifestiert sich die Gewalt immer mehr in Form von verbaler Gewalt in der türkischen Politik. Von den Kostümen, die Sängerinnen auf der Bühne Tragen, zu den Liedtexten, die sie schreiben, Frauen werden zur Zielscheibe gemacht. Die Debatte über die Körper der Frauen wird in der Öffentlichkeit geführt, meistens von Männern. Frauen werden für die Wahl ihrer Kleidung verurteilt, ihre Moral wird in Frage gestellt. Eine Sängerin, die zur Zielscheibe wurde ist die türkische Popsängerin Gülşen. Lange schwieg die Sängerin zu den Äußerungen bis sie schließlich, nachdem ihr Ehemann in den Debatten aufgefordert wurde “seine Frau zu kontrollieren”, die Stille brach. Gülşen antwortete, sie sei ein Mensch mit freiem Willen.5 Sezen Aksu, eine der berühmtesten Sängerinnen und Liedtextverfasserinnen des Landes wurde direkt vom Präsidenten während seiner Rede zum Freitagsgebet auf Grund eines Liedes, das 2017 geschrieben wurde, angegriffen. Der Präsident warf der Sängerin Blasphemie vor und sprach öffentlich Drohungen aus.6