Unterfinanzierung der Universität – Teil II
Der Mittelbau des Zentrums für Konfliktforschung
antwortet auf den Beitrag der ReVerBi vom 19.07.2021
12.12.2021
Deutschland
Hauptstadt: Berlin
Einwohner:innen: 83.155.031
Hessen: Wiesbaden, Einwohner:innen: 6.293.154
- Unsere Landeshauptstadt ist Wiesbaden. Wiesbaden hat unter anderem 3 Stadtteile, die Mainz im Namen tragen, da sie ehemals zur Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz gehörten.
- 42% der Fläche Hessens sind mit Wald bewachsen. Damit ist es das waldreichste Bundesland.
- Über das ganze Bundesland verteilen sich kuriose Ortsnamen: Linsengericht, Dagobertshausen, Machtlos, Eiterhagen, Mücke, Lieblos, Wixhausen, Böß-Gesäß und Obergude sind nur ein paar Beispiele.
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Revolte gegen die Vermarktlichung des Bildungswesens
ReVerBi ist ein Bündnis aus Fachschaften, Hochschulgruppen, engagierten Studierenden und dem AStA der Philipps-Universität Marburg mit einem gemeinsamen Ziel: der Revolte gegen die Vermarktlichung des Bildungswesens. In ihrem Beitrag auf unserem Blog beschreiben sie die Grundlage der kapitalistisch denkenden Uni und zeigen auf, wie sich das negativ auf die Studierenden auswirkt.
Anlass dazu waren die Einsparmaßnahmen am FB03, die nicht nur uns Studierende betreffen, wie wir in diesem Beitrag lesen werden.
[Homepage: https://linktr.ee/reverbi2021]
Die von den Studierenden beklagten Verhältnisse und die Verhängung der Haushaltssperre für den Fachbereich 03 sind Symptome von politisch zu verantwortenden Strukturen: Die Unterfinanzierung der Universitäten, eine grassierende Befristungspraxis und die undemokratische Verzerrung in Universitätsgremien zugunsten einer professoralen Mehrheit.
Die Verhältnisse, die zu lange auf Kosten der Studierenden, des Verwaltungspersonals und des akademischen Mittelbaus bestanden haben, bedrohen letztlich auch den Wissenschaftsstandort Deutschland.
Ende 2020 wurde eine vorübergehende Haushaltssperre durch den Kanzler der Universität über den Fachbereich 03 verhängt, aufgrund eines prognostizierten Defizits von über 1 Millionen Euro in den Personalausgaben 2020. Diese Notlage wurde der Ausgangspunkt für viele Proteste des akademischen Mittelbaus und von Studierenden. Während aktuell strenge Konsolidierungsmaßnahmen greifen, bleibt die Finanzlage der Universität und des Fachbereichs schwierig und mit einem strukturellen Defizit bleibt auch zukünftig zu rechnen. Die Finanzplanungen und Lage am Fachbereich sind dabei nicht leicht zu verstehen bzw. zu durchblicken. Zwar werden immer wieder Zahlen und Daten in Gremien zur Verfügung gestellt, viele Details und Prozesse bleiben aber eine Black Box, gerade auch für Studierende und Mittelbau. Nachhaltig mitgestalten und vor allem mitentscheiden können die beiden Statusgruppen, auch aufgrund professoraler Mehrheiten in Gremien und des Einflusses der Universitätsverwaltung, kaum.
Wir, der Mittelbau des Zentrums für Konfliktforschung, sind zwar nicht unmittelbar von der Haushaltssperre des FB03 betroffen, doch auch bei uns führte die Logik der strukturellen Unterfinanzierung und die Befristungspraxis in den vergangenen Jahren zu einer Normalisierung von inakzeptablen Arbeitsverhältnissen.
Lehre
Wenn vom Mittelbau zusätzlich angebotene Lehre überhaupt vergütet wird, so entspricht die Vergütung von Lehraufträgen gemessen am Arbeitsaufwand kaum dem gesetzlichen Mindestlohn.
ABER: Diese Vergütung wird eben nur auf Grundlage der reinen Lehre berechnet und berücksichtigt nicht die anfallende Zeit für die Entwicklung neuer Seminarinhalte, die Vor- und Nachbereitung der Lehre, die Betreuung von Studierenden, Prüfungskorrekturen, etc. Rechnet man diese Zeit ein, werden Lehraufträge miserabel vergütet. Der hohe Arbeitsaufwand in der Entwicklung neuer Seminare bei gleichzeitig schlechter Vergütung führt genau dazu, dass vermehrt auf bereits bestehende Seminare sowie arbeitsersparende Methoden, wie etwa Multiple-Choice-Klausuren, zurückgegriffen muss.
Befristung
Unter dem wissenschaftlichen Mittelbau am Fachbereich hat sich eine Vielzahl von ungleichen Arbeitsverträgen etabliert: Hinsichtlich der Aufgabenverteilung werden insbesondere Lehrstuhl- bzw. Landesstellen im Vergleich zu drittmittelfinanzierte Projektstellen ungerecht vergütet. Während auf Projektstellen die Forschung ausfinanziert ist und keine Lehrverpflichtung besteht, gehen Landes- bzw. Lehrstuhlstellen oft mit Lehrverpflichtung und strukturellen Aufgaben einher, bieten keine Mittel für Feldforschung und bedeuten nicht selten eine chronische Überbelastung im Hinblick auf Arbeitsumfang und zu leistenden Arbeitsstunden. Die eigentliche Qualifizierungsarbeit muss so oft in der Freizeit stattfinden. Stipendiat:innen, die das derzeitige System häufig mittragen, werden ohne Arbeitsvertrag keine Sozialleistungen angeboten. Zwischen Kolleg:innen führt dies zu Ungerechtigkeiten hinsichtlich sozioökonomischer und arbeitszeitlicher Belastungen, die generell über den Eintritt, den Erfolg oder Verbleib im Wissenschaftssystem entscheiden. Wenn die Finanzierung von Stellen oder Stipendien ausläuft, obwohl Forschungs- und Qualifikationsarbeiten nicht im geplanten Zeitraum abgeschlossen werden können, werden die privaten finanziellen Möglichkeiten zum Kriterium für eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Qualifizierung. Während eine geisteswissenschaftliche Promotion in Deutschland durchschnittlich 5 Jahre dauert, erhalten Doktorand:innen in der Regel nur befristete Verträge, die weit darunter liegen, wenn überhaupt.
Anstatt Alternativen, wie dem britischen Department System, zu entwickeln, wird immer noch am Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) festgehalten. Das 2007 in Kraft getretene Gesetz ermöglicht es den Hochschulen, ihr wissenschaftliche Personal (also uns Wissenschaftler:innen im akademischen Mittelbau, die keine Professur innehaben) befristet anzustellen – und zwar länger, als es sonst in Deutschland gemäß des Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eigentlich rechtens wäre. Unter diesen Bedingungen können Wissenschaftler:innen in der Regel 12 Jahre lang befristet beschäftigt werden. Die Schlagzeilen um #ichbinhanna und #ichbinReyhan zeigen, wie sich unter diesen prekären Bedingungen Wissenschaftlerinnen über Jahre von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln.
Das WissZeitVG schreibt zudem das Flaschenhalsprinzip fort: Wer es bis zur Höchstbefristungsdauer nicht auf eine feste Stelle oder eine Professur schafft, wird zukünftig aus dem Hochschulsystem ausgeschlossen. Nach Jahren der Aufopferung ist das Ausscheiden aus der wissenschaftlichen Hochschultätigkeit für die meisten Beschäftigten eine statistische Gewissheit: Laut dem DGB-Hochschulreport sind vier von fünf wissenschaftlichen Beschäftigten (78%) an Hochschulen befristet angestellt, mit einer Vertragslaufzeit von durchschnittlich zweieinhalb Jahren. Aber dem Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 zufolge wurden 2018 von 71.193 Bewerbungen lediglich 3059 auf Lebenszeitprofessuren berufen. Im selben Jahr gab es rund 174.000 Promovierende und rund 207.000 hauptberufliche wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter:innen im Mittelbau. Viele exzellente Wissenschafler:innen verlassen unter diesen oft aussichtslosen Umständen die Wissenschaft auf der Suche nach grüneren Weiden, sei es im Ausland oder in der freien Wirtschaft. Das ist ein Verlust für Lehre und Forschung, den sich der Wissenschaftsstandort Deutschland auf Dauer nicht leisten kann.
Kein „weiter so“
Wer in der Wissenschaft bleibt, muss viele Opfer bringen. Die Strukturen für eine akademische Laufbahn und der Wissenschaftsstandort Deutschland bleiben insgesamt unattraktiv. Derweil baut die strukturelle Unterfinanzierung auf die Aufopferung des Mittelbaus: Im schlechtesten Fall führen strukturelle Aufgaben und Lehrverpflichtung dazu, dass kaum Zeit für die Forschung und wissenschaftliche Qualifizierung bleibt – oder diese in der eigentlichen Freizeit (abends oder am Wochenende) erfolgt. Aber selbst unter guten Umständen bleibt dafür oft nicht genügend Zeit, vor allem wenn zusätzlich solidarisch Mittelbau-Aufgaben übernommen werden. Denn es ist Nachwuchswissenschaftler:innen bewusst, dass eine Ablehnung, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, effektiv eine zusätzliche Arbeitsbelastung für Kolleg:innen bedeuten würde.
Der Mittelbau stützt und reproduziert durch seine Aufopferung das System. Das momentane System macht es Nachwuchswissenschaftler:innen dabei auf mehreren Ebenen nicht leicht, Beschwerden über die momentanen Arbeitsbedingungen und damit einhergehende Forderungen überhaupt zu äußern. Dies liegt zum einen an der bereits geschilderten chronischen Überbelastung sowie einer auf Fragmentierung, Vereinzelung und Ungewissheit aufbauenden Vertrags- und Anstellungspraxis, die es schwierig macht, übergreifende und langfristige (Mittelbau-)Bündnisse zu schmieden. Hinzu kommen vielfach Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Beschäftigten des Mittelbaus und Professor:innen, die als Betreuende oder Prüfende der Qualifikationsarbeiten, ein freies Äußern von Kritik erschweren. Zum anderen lässt sich dies auf anhaltende, zutiefst problematische Ideen über Wissenschaft und akademisches Arbeiten zurückführen, nach welchen Beschwerden und Forderungen nach wie vor abwechselnd als Indiz für mangelhafte Leidenschaft für die Wissenschaft, Unfähigkeit, im akademischen System zu bestehen, oder mangelndes Bewusstsein für die mit akademischem Arbeiten einhergehende Privilegien abgetan werden. Wir, der Mittelbau des Zentrums für Konfliktforschung, fordern daher:
- Budgetstreichungen am FB03 dürfen nicht auf Kosten der Studierenden und des Mittelbaus ausgetragen werden. Die Qualität der Lehre und des Arbeitsortes Universität kann bei einer anhaltend schwachen Grundfinanzierung nicht durch höhere Drittmittel- und Projektförderung ersetzt werden. Die Landes- und Bundesregierung sollten Gelder nicht nach Maßstäben des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen verteilen, sondern ausreichende Grundfinanzierung für Forschung und Lehre schaffen. Wir brauchen eine dauerhafte, sichere, faire, an tatsächlichen Ausgaben und Bedürfnissen angelehnte Finanzierung – raus aus einem System, das auf einer Logik der Unterfinanzierung und Selbstaufopferung beruht.
- Eine effektivere Zusammenarbeit der Statusgruppe der Professor:innen, der Universitätsleitung, aber auch der Politik mit dem wissenschaftlichen Personal, um langfristige Lösungen zu erarbeiten, anstelle zu kurz gedachter Einsparmaßnahmen, die strukturelle Probleme verschärfen, statt sie zu überwinden.
- Eine Reform des WissZeitVG, sodass mehr entfristete Stellen unterhalb der professoralen Ebene geschaffen werden, etwa durch die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für ein Department-System.
Autor:innen:
Stellungnahme des Mittelbaus des Marburger Zentrums für Konfliktforschung
Quellen
Konsortium Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs (2021): Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs 2021, abgerufen unter: https://web.archive.org/web/20210605150508/https:/www.buwin.de/. Zuletzt abgerufen am 11.12.2021.
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